2.1 Augsburg als Donaustadt
Lange Zeit galten Augsburgs Flüsse Lech und Wertach wegen ihrer schwankenden Pegelstände für das Befahren durch größere Schiffe als ungeeignet. Die Idee einer „Hafencity“ in der Augsburger Vorstadt ließ einige Visionäre dennoch nicht los.
Der technische Fortschritt machte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch vor Augsburg nicht Halt. Unaufhörlich stieg die Bedeutung der Wasserkraft für die Industriebetriebe, die sich seit den 1840er Jahren an den über hundert Kanälen und Ableitungen von Lech, Wertach, Senkelbach und Pferseer Mühlbach vor allem am Stadtrand niederließen. Weitreichende Pläne, die Augsburger Fließgewässer für größere Frachtschiffe zum Personen- und Gütertransport auszubauen, waren seit dieser Zeit im Gespräch. Um konkurrenzfähig zu bleiben und Augsburg „zum größten Industrie-Bezirk des Kontinents“ zu machen, schien eine Anbindung an die große Wasserstraße Rhein-Main-Donau unerlässlich. Hier hatte der Kanalbau König Ludwigs I. zwischen Bamberg und Kelheim in den Jahren 1836–1846 bereits einen ersten Schritt getan.
Dieses Potential erkannte auch der Augsburger Architekt und Baumeister Albert Gollwitzer (1839–1917). Als Mitglied des 1892 gegründeten bayerischen „Vereins zur Hebung der Fluss- und Kanalschiffahrt in Bayern“ entwickelte er kühne, aber durchaus moderne Projekte zum Anschluss Augsburgs an ein mitteleuropäisches Wasserstraßennetz.
Die erste Variante sah einen Stichkanal nach Aichach vor, der von Augsburg über Pöttmes bis Stepperg an die Donau führen sollte. Eine zweite Alternative brachte auch eine direkte Linien- führung über den Werkskanal eines Elektrizitätswerks in Gersthofen zum Vorschlag. Das Kanalsystem sollte hier parallel zum Verlauf des Lechs am linken oder rechten Ufer über sechs Schleusen direkt nach Rain am Lech und an die Donau führen. (b) Neben einer Hafenanlage in Oberhausen entwarf Gollwitzer auch einen Stichkanal vom Proviantbach in den Stadtgraben am Oblatterwall. Umschlagplätze, Verladekräne, Lagerhäuser sollten – ähnlich wie in Hamburg – in Augsburg rund um den Fünfgratturm eine „Hafencity“ entstehen lassen!
Was heute wie ein Hirngespinst klingt, war damals durchaus nicht unrealistisch. Als erste Maßnahme entstand 1896/98 eine Kammerschleuse am Kraftwerk in Gersthofen, die mit 8,60 m Breite und 41 m Länge auch für Frachtschiffe bis 600 Tonnen geeignet war und eine Hubhöhe von 5 m überwinden konnte. Selbst Prinz Ludwig (III.) v. Bayern, der technikbegeisterte Augsburger Ehrengast einer Versammlung im Jahr 1901, lobte Gollwitzers 8 km lange Gersthofener „Anfänge“ eines Schifffahrtskanals an die Donau.
Es sollte allerdings bei diesen Anfängen bleiben – der Plan wurde kurz darauf zugunsten der „Stepperger Variante“ fallengelassen, die Schleuse wieder aufgegeben. Die neue Streckenführung sah ab 1913 einen Schiffskanal ab München mit einer „Umschlagsanlage Augsburg“ an der Distriktstraße zwischen Lechhausen und Stätzling vor. (c) Ein 20 km langer Stichkanal und ein eigener Gleisanschluss über den Bahnhof im - kürzlich eingemeindeten - Hochzoll sollten die Verbindung zur Innenstadt schaffen. Auch diese Route wurde jedoch nicht realisiert. Die Entscheidung fiel 1917 zugunsten des Ausbaus eines Wasserwegs Aschaffenburg–Kelheim– Regensburg–Passau.
Augsburg geriet ins Hintertreffen, doch kursierte weiterhin die Idee der Schiffbarmachung in den Wirtschafts- und Bebauungsplänen der Stadt. (d) Noch etliche Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Areal bei Lechhausen von Bebauungen freigehalten und erst 1984 von Hafenplänen Abstand genommen. In den Köpfen der Augsburger hat sich die Idee bis heute erhalten, und noch immer spukt die Geschichte einer „Hafencity“ an der Berliner Allee in den Erzählungen.
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