2.3 Ein Lechhausener Floßtourist
Im Jahr 1840 unternahm der pensionierte Lechhausener Lehrer Adam Biertrinker (* ca. 1771) eine 1 ½ Monate dauernde „Fernreise“ nach Wien zur Sommerfrische und zum Verwandtschaftsbesuch – mit dem Floß, versteht sich!
Neben dem Handelsverkehr mit Gütern spielte das Floß in der vorindustriellen Zeit auch für den Personentransport eine nicht unerhebliche Rolle. In nahezu allen größeren Orten, die sich an floßbaren Flüssen befanden, bot dieses Beförderungsmittel oft eine willkommene Alternative zur äußerst zeitraubenden und beschwerlichen Reise auf dem Landweg. Der Transport von Passagieren durch die Flößerei ist bereits früh bezeugt. Auch von Augsburg aus verkehrten seit dem 16. Jahrhundert meist einmal wöchentlich fahrplanmäßige „Ordinari-Floßfahrten“ über Linz nach Wien, die bei normaler Witterung und ausreichendem Wasserstand in sechs bis zehn Tagen zu bewältigen waren. (a) Dabei boten kleinere, auf den Flößen befindliche Hütten den Mitreisenden für die Dauer der Fahrt einen halbwegs komfortablen Unterstand.
In einem außergewöhnlichen „Ego-Dokument“, einem Reisetagebuch, vermittelt uns der Passagier Adam Biertrinker auf unterhaltsame Weise einen Eindruck von den wichtigsten Stationen seiner Flußfahrt und von dieser bis ins 19. Jahrhundert weit verbreiteten Art des Reisens auf dem Wasserweg. Der 69jährige Lechhausener hatte dazu beim Floßmeister Anton Hölderich (* 13.3.1800 in Schongau, + 23.1.1845 in Augsburg) in der Augsburger Jakobervorstadt (Lit. G 35) eine Floßreise gebucht. Das Unternehmen bot seit 1830 bei guter Witterung in den Sommermonaten regelmäßige Fahrten nach Wien an, die auch über Zeitungsinserate im „Intelligenzblatt“ bekannt gemacht wurden. (b) Am 3. Juli bestieg Biertrinker das Wassergefährt an der Lechhausener Floßlände. Seine Reise führte ihn bis zum 11. Juli auf dem Lech und der Donau u. a. über Neuburg – Ingolstadt – Kelheim – Regensburg – Straubing – Deggendorf – Passau – Engelhartszell – Linz bis zur Anlegestelle des Klosters Melk. Von dort setzte er seine Fahrt zu Verwandten in Wilhelmsburg (11.–17.7.), nach Wien (17.7.–24.7.) und zur Sommerfrische im Kurort Baden bei Wien (24.7.–12.8.) auf dem Landweg fort.
Neben seinen allgemeinen Reisenotizen sind v. a. die Eindrücke der Floßfahrt bemerkenswert. Die tägliche Fahrzeit betrug ca. 8 Stunden, wobei die Abfahrt meist vor Tagesanbruch lag. Dabei boten jedoch längere Zwischenaufenthalte, die durch das Umladen oder Zusammenhängen von Flößen, das Begleichen von Mautgebühren und das „Pässe-Revisieren“ nötig wurden, den Reisegästen willkommene Gelegenheiten zu Landausflügen, Besichtigungstouren oder zur Einkehr in allerlei „vortrefflichen“ Gasthäusern. Besonders neue technische Errungenschaften wie die Baustelle des Ludwig-Donau-Main-Kanals bei Kehlheim (erbaut 1836–1846) oder das moderne Dampfschiff „Therese“, das das Naturfloß auf seiner Fahrt überholte, stießen auf lebhaftes Interesse der Fahrgäste. Freilich blieben auch natur- und witterungsbedingte Schwierigkeiten nicht aus. So zwang z. B. ein Unwetter bei Passau zu einem abrupten, gefährlichen Anländen.
Bei seiner Rückreise aus Wien am 17. August musste sich Biertrinker allerdings mit einem bescheideneren Transportmittel – einem Leiter- oder „Zeiselwagen“ – begnügen. Nur schade, dass die neue Eisenbahnstrecke zwischen München und Augsburg erst am 1. Oktober 1840 vollständig eröffnet wurde. So konnte Biertrinker diesen technischen Fortschritt am 23. August nur auf der Teilstrecke bis Nannhofen genießen! (b)
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