Sagenhaft – Wie aus dem Steinernen Mann der Bäcker Georg Hacker wurde
Die Sage vom Steinernen Mann zählt zu den populärsten Augsburger Stadtsagen. Demnach soll der Bäcker Konrad Hacker im 30-jährigen Krieg während der langen Belagerung der Stadt durch kaiserliche Truppen 1634/35 mit einem Brotlaib auf der Stadtmauer erschienen sein, um den feindlichen Truppen die gute Versorgung mit Nahrungsmitteln vorzutäuschen. Eine Kanonenkugel hätte ihm bei dieser Aktion den rechten Arm zerfetzt und bald darauf sei er an den Folgen der Verletzung gestorben. In Erinnerung an seine Heldentat hätte ihm die dankbare Bürgerschaft ein Denkmal errichtet. Die aus verschiedenen Fragmenten zusammengesetzte Figur aus Stein steht erst seit 1955 in einer Turmnische an der Schwedenstiege, ursprünglich befand sie sich am Unteren Graben 12.
In den zahlreichen Chroniken aus dem Dreißigjährigen Krieg findet sich kein Hinweis auf diese Geschichte bzw. auf die Errichtung eines Denkmals. Dafür berichten gleich zwei Chronisten im Sommer 1812 über die Entfernung, Renovierung und Wiederaufstellung des Steinernen Manns. Der Getreideschreiber Johann Gottfried Franck (gest. 1816) versah seine Einträge sogar mit kleinen Zeichnungen. Francks Version gibt knapp die Bäckersage wieder, jedoch ohne einen Namen zu nennen. Aus seinen Notizen geht außerdem klar hervor, dass die Statue farbig gefasst war, bei der erneuten Aufstellung sei sie „wieder schön gemalt“ gewesen.
Der Pfarrvikar und Seelsorger im Militärhospital bei St. Georg, Ferdiand Nodale (1752–1820), verband dagegen mit dem Steinernen Mann eine andere Geschichte. Die Truppen Attilas hätten 543 n. Chr. die Stadt belagert und ein „blessierter Soldat“ hätte sich auf die Stadtmauer am Oblatter Tor gesetzt und demonstrativ einen Laib Brot gegessen. Attila hätte sich beim Soldaten nach den Lebensmittelvorräten erkundigt und nach dessen positiver Antwort mit seinen Truppen den Rückzug angetreten.
Im 19. Jahrhundert beschäftigten sich viele Gelehrte mit Sagen und Märchen, am bekanntesten sind sicher die Brüder Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859); auch der Begriff „Sage“ hat sich erst im frühen 19. Jahrhundert im Sprachgebrauch etabliert. Erzählungen über den wunderbaren Abzug nach einer grausamen Belagerung finden sich ebenfalls vielerorts. Adelbert von Chamisso (1781–1838) hat z. B. den Weibern von Weinsberg ein literarisches Denkmal gesetzt.
In Augsburg bemühte sich der Stadtarchivar Christoph Jakob Haid (1780-1843), die vielen Lücken im kollektiven Gedächtnis seiner lokalen Zeitgenossen mit passenden Geschichten zu schließen. Er veröffentlichte u. a. im Jahr 1833 Erklärungen zu alten Ortsbezeichnungen und lieferte 1838 „biographische Skizzen nach authentischen Urkunden“. Haid musste viele Bestände des Archivs ordnen, hatte also täglich Umgang mit den reichsstädtischen Quellen; außerdem plagten ihn offenbar stets Geldsorgen, was aus seinem Personalakt hervorgeht. Mit kleineren Veröffentlichungen konnte er sich noch ein Zubrot verdienen und gleichzeitig seinen Dienstherren in der Hoffnung auf eine Beförderung seinen Fleiß und seine Kompetenz beweisen. Es spricht viel dafür, dass sich Haid auch dem populären Steinernen Mann angenommen hat. Im Intelligenzblatt vom 30.1.1828 rühmt sich ein anonymer Autor, „aus sicheren Quellen“ die eingeschlichenen „Unrichtigkeiten“ der Sage zu korrigieren. Bei Sagen ist es eher ungewöhnlich, dass die Biografie des Protagonisten mit konkreten Quellenverweisen angereichert wird. Bereits der Mathematiker, Oberstudiendirektor und Heimatforscher Dr. Eduard Lampart (1876–1940) hat in seinem 1941 posthum veröffentlichten Aufsatz in der „Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben“ den Archivar Haid als Autor der Sagenversion im Intelligenzzettel von 1928 vermutet. Lampart verwies seinerseits auf Unstimmigkeiten in Haids Version. Dort soll sich die Begebenheit am 22. März 1635 ereignet haben und Hacker nach wenigen Tagen verstorben sein. Allerdings sei seine Witwe erst am 22. Januar 1636 im Pflegamt wegen der Vormundschaft für die vier minderjährigen Kinder vorstellig geworden. Ferner hätten die von den Schweden erbauten weiträumigen Befestigungsanlagen den Blick auf die Stadtmauer verhindert.
Der Steinerne Mann hat zwar dank der Restaurierung nach den Beschädigungen durch Luftangriffe im 2. Weltkrieg 1950 wieder seinen Brotlaib erhalten, nicht aber die ursprüngliche Farbe. Verloren hat sich auch der enge Bezug zum ursprünglichen Standort. Dafür wurde er von der Bäckerinnung zum Schutzpatron erhoben: Im Hof ihres Stammsitzes im Rokokohaus in der Schaezlerstraße bekam er gleich ein zweites Denkmal gesetzt.