Abwasser ist nicht gleich Abwasser
Abwasser steht als Überbegriff für jedes über bauliche Anlagen abgeleitete Wasser – Regenwasser ebenso wie Schmutzwasser aus Betrieben und privaten Haushalten inklusive des mit Fäkalien versetzten Spülwassers aus Toiletten. Diese heutige Definition traf in der Augsburger Historie allerdings erst ab dem 20. Jahrhundert zu.
Im mittelalterlichen Augsburg entsorgte man zunächst jede Form von Abwasser in alle fließenden Gewässer, besonders in den Mettlochkanal, den Hunoldsgraben und den Lauterlech. Allerdings war die Entsorgung von Fäkalien in die Kanäle auf die Nachtzeit beschränkt. Daran hielten sich die Augsburger jedoch nicht und entsorgten weiter „wild“. Mit verschiedenen baulichen Maßnahmen versuchte man zwar die Situation stetig zu verbessern − mit geringem Erfolg...
Erst im 19. Jahrhundert führte ein neues Verständnis für Abwässer zu einer systematischeren Entsorgungspolitik. Als Abwasser galten nun Regenwasser und Schmutzwasser, nicht jedoch Fäkalien, auch wenn diese eine vorwiegend flüssige Konsistenz hatten. Die Entsorgung von Abwasser gemäß dieser Definition erfolgte in Augsburg durch Abzugskanäle. Fäkalien wurden, sofern sie nicht mehr oder weniger heimlich direkt in die Fließgewässer entsorgt wurden, in Gruben gesammelt. „Goldgräber“ hatten die Aufgabe die Gruben regelmäßig zu räumen.
Ein schrittweises Umdenken begann erst nach der großen Choleraepidemie 1854. Als Ursache der Seuche vermutete man aus den Böden aufsteigende Gase versickerter Fäkalien. Diese Bodentheorie läutete in Augsburg eine langsame Wende in der Entwässerungspolitik ein. Bisher hatte die Stadt weiterhin die in reichstädtischer Zeit angelegten, teils offenen, teils überbauten Kanäle zur Ableitung des Abwassers genutzt. In Modernisierung und Neubau wurde nur selten investiert. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begann nun erstmals ein systematischer Ausbau. Der Abbruch der städtischen Festungsanlagen ab 1867 ermöglichte den Bau unterirdischer Kanäle in den Gräben vor den ehemaligen Verteidigungsanlagen. Auch bezüglich der Fäkalentsorgung bemühte sich die Stadt, ihrer Verantwortung gegenüber der durch die Industrialisierung stark angewachsenen Bevölkerung gerecht zu werden. Ab 1868 führte Augsburg, wenn gleich zunächst auf freiwilliger Basis, die Fäkaltonnenabfuhr ein. Fortan sollten Fäkalien in Fässern („fosses mobiles“) gesammelt werden. (b) Die Entscheidung für das Tonnensystem fiel umso leichter, da die Kosten von den Eigentümern selbst getragen werden mussten. Sie hatten für die Einrichtung der Anlage, die Beschaffung der Tonnen sowie für deren regelmäßige Leerung aufzukommen. 1899 waren 70% der Abtritte im Stadtgebiet an das Tonnensystem angeschlossen.
Parallel dazu existierten aber auch immer noch zahlreiche Plumpsklos, die Fäkalien direkt in die Werkkanäle entsorgten. An der Wende zum 20. Jahrhundert machte erneut eine technische Innovation ein Umdenken bei der städtischen Abwasserentsorgung notwendig – das Spülklosett. Weder konnte die vorhandene Kanalisation das mit Fäkalien versetzte Spülwasser aufnehmen, noch konnte es durch das Tonnensystem entsorgt werden. Als Übergangslösung genehmigte die Stadt im September 1900 den Bau von Spülklosett-Anlagen mit Überlauf. 1901 waren bereits drei Anlagen in Betrieb und 50 weitere in Planung. Mit der Einführung einer Schwemmkanalisation fand die Stadt eine endgültige Lösung für Augsburgs Abwassersystem. Zukünftig sollten alle Arten von Abwasser in diesen neuen Kanälen gemeinsam abgeführt werden. 1907 begann man mit dem Bau des Hauptkanals I für das südliche Hochfeld zwischen Wertach und Rosenau. (c) Die große Schwachstelle des Systems blieb jedoch die ungereinigte Einleitung der Abwässer der Stadt in den Lech. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Schaffung einer Kläranlage für Augsburg regelmäßig angemahnt. Während für die östlich des Lechs gelegenen Stadtteile bereits seit 1916 eine Kläranlage in Lechhausen zur Verfügung stand, startete der Betrieb der ersten Augsburger Zentralkläranlage erst im Herbst 1956.