4.5 In der Eiswüste an Lech und Wertach
Der Winter 1928/29 brachte in ganz Europa nahezu arktische Wetterverhältnisse mit Eisbildung auf allen Seen und Flüssen, der Nord- und Ostsee. Die „Eiskatastrophe“ versetzte auch die Augsburger Stadtverwaltung in eine Ausnahmesituation.
In Augsburg herrschte von Mitte Dezember bis Anfang März 1928/29 eine ungewöhnlich lange und strenge Winterperiode mit heftigem Schneefall, Tiefsttemperaturen bis -36° C und eisigem Ostwind.
Angesichts dieser extremen Bedingungen galt das Augenmerk der städtischen Behörden zunächst v. a. dem Treibeis, das von Lech und Wertach in großen Mengen mitgeführt wurde und - staute es sich auf - gefährliche Überschwemmungen verursachen konnte. Das Eis wurde zunächst erfolgreich über die Werkkanäle abgeleitet, die dank ihrer höheren Fließgeschwindigkeit weniger zu Verstopfungen durch die Eismassen neigten als die größeren Flussläufe.
Die zunehmende Vereisung der Fließgewässer erforderte eine laufende Kontrolle der Situation. In aktuellen Krisensitzungen koordinierte die Augsburger Stadtverwaltung den Einsatz städtischer Behörden und Hilfsorganisationen (Technische Nothilfe, Landespolizei, Feuer- und Wasserwehr, Reichswehr, Sanitätskolonne etc.) und bereitete sich auf den Notfall vor. Tagesmeldungen des Tiefbauamts zu regionalen Witterungsverhältnissen und fotografische Dokumentationen (a) vermittelten einen aktuellen Sachstand über Fließgeschwindigkeit und Grad der Vereisung an den kritischen Punkten der Gewässer. Zeitungsberichte hielten die Stadtbevölkerung über die Situation in Augsburg und in anderen Städten Deutschlands auf dem Laufenden. (b)
Trotz dieses Krisenmanagements kam es am 3. Februar 1929 zur Bildung sogenannter Eisschoppungen im Proviantbach und im Bereich der Spinnerei und Buntweberei Pfersee. Dort und in der Baumwollspinnerei am Stadtbach verursachte eindringendes Wasser weitere Schäden. Um größere Überschwemmungen zu verhindern, musste das eisführende Wasser rasch in Lech und Wertach zurückgeleitet werden, wo sich, wie erwartet, bald riesige Eisstöße bildeten, da der niedrige Wasserstand der Flüsse einen schnellen Abtransport des Eises nicht zuließ. Sprengungsmaßnahmen, mit denen man glaubte einen „Abzugsschlauch“ des Wassers schaffen zu können, waren nur bedingt erfolgreich. Vielmehr kam es hierdurch am 6. März zu weiteren Eisstoßbildungen am Hochablasswehr und in der dortigen Floßgasse.
Durch die Eiseskälte wurde auch die Trinkwasserversorgung der Stadt in Mitleidenschaft gezogen. Wegen der Absperrung der Lechkanäle musste man im Wasserwerk die Turbinen außer Betrieb nehmen und den kostenintensiven Notbetrieb über Dieselmotoren veranlassen. Brüche an den Hauptdruckleitungen - hier wurden 1.670 Schadensmeldungen verzeichnet - verursachten ebenso größere Probleme. Erst Mitte März entspannte sich durch einsetzendes Tauwetter die Lage. Aufgrund des niedrigen Anfangswasserstands blieb Augsburg von einer größeren Katastrophe verschont. Weder das befürchtete „kolossale Hochwasser“ noch größere Beschädigungen von Brücken und Ufersicherungen durch das in Bewegung geratene Eis waren zu konstatieren.
Trotz aller Widrigkeiten stellten die bizarren Gebilde natürlich eine besondere Attraktion für die Augsburger Einwohner dar, die sich deren Besichtigung nicht entgehen ließen. Die Aufnahmen entstanden u. a. am kältesten Tag (12. Februar), an dem die „Höchsttemperaturen“ -20° C nicht überschritten.
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